Freitag, 8. Juni 2012

Von der Hebammenkunst - Arthur C. Clarke 'Die letzte Generation'

Die heute als "klassisch" bezeichneten Romane des Science Fiction Genres wurden meist schon vor etlichen Jahrzehnten oder gar vor noch längerer Zeit geschrieben. Damit diese aus unserer heutigen Perspektive betrachtet immer noch die vom Autor intendierte Wirkung ausüben, dürfen sie bei der Schilderung der "Zukunft" nicht zu sehr in ihrer eigenen Zeit verhaftet sein, sondern verlangen vom Autor mehr als nur die einfache "was-wäre-wenn"-Projektion zeitgenössischer Technologien. Hätte man einen einfachen Menschen des 19. Jahrhunderts nach den zukünftigen Fortschritten im Individualverkehr befragt, hätte man sicher oft Antworten wie z.B. "ausdauerndere und gesündere Pferde" bzw. "schnellere Kutschen" erhalten. Ein Auto angetrieben auf der Basis eines Verbrennungsmotors mit der Kraft von über hundert Pferden, das sich zudem noch jeder leisten könnte, wäre sicher kaum jemanden eingefallen. So geraten zahlreiche der "klassischen" Science Fiction Romane heute schnell zu einem Panoptikum der gescheiterten Technikträume und wirken von unserer heutigen Technologie bereits überholt. 

Langlebiger und interessanter sind da schon die Gesellschaftsutopien, die sich mit den Folgen aktueller oder zukünftiger Technologien und darauf aufbauend mit den Möglichkeiten der Entwicklung unserer Zivilisation befassen. Dann ist es egal, ob wir mit dem Telegrafen oder über das Internet kommunizieren. In beiden Fällen beschleunigt die nahezu verzugslose Kommunikation unsere Gesellschaft und sorgt dadurch für nachhaltige und möglicherweise dramatische Veränderungen.

Mit 'Die letzte Generation' (Titel im Original: Childhoods End) ist Arthur C. Clarke vor nun gut 60 Jahren ein immer noch beeindruckender Roman des Genres gelungen. Wir alle kennen das Bild, das Clarke an den Anfang des Romans stellt. Ein Bild, das mittlerweile - dank Hollywood - zu einer Ikone geraten ist. Die riesigen Raumschiffe der Außerirdischen schweben gleich einer Drohung über allen großen Städten der Menschen. Wie aus dem Nichts, sind die Schiffe der Overlords plötzlich erschienen und sie zwingen den Menschen ihren Willen auf. Nein, die Menschheit soll nicht unterjocht werden. Doch werden zunächst Kriege und Konflikte ebenso wie später weitere "Verfehlungen" der Menschheit mit sanftem Druck unterbunden. So werden aus den früher miteinander streitenden Nationen Befürworter, Mitläufer oder aber militante Gegner der Außerirdischen, die sich in einer Art Widerstandsbewegung organisieren.

Ein großes Rätsel bleibt vor allen Dingen die Gestalt der Außerirdischen, die sich vor den Menschen verborgen halten.  Es gibt auch einen Grund, warum sich die Overlords verbergen. Und der hat tatsächlich mit ihrer Gestalt zu tun, die der Menschheit bekannt vorkommen könnte und eventuell an eine frühere, heute in Mythen verschwundene Epoche gemahnt.tt
"Wissenschaft kann Religion zerstören, indem sie sie unbeachtet lässt, aber auch indem sie ihre Lehren widerlegt." (Seite 34) 
"Doch sie wussten, wenn die Wissenschaft etwas für möglich erklärt hatte, ging kein Weg mehr daran vorbei, dass es eines Tages Wirklichkeit wurde." (Seite 196)
Doch auch die Overlords sind nur Mittelsmänner für eine weitere Macht, die ebenfalls im Dunkeln bleibt, und in deren Auftrag sie handeln. Es geht um die Weiterentwicklung der Menschheit und den Overlords kommt die Aufgabe einer Art Hebamme zu, um die Menschen auf einen Weg zu lenken, der den Overlords selbst verwehrt bleiben wird. Der dünne, kaum 300 Seiten umfassende Roman ist aus einzelnen Episoden aufgebaut, zwischen denen oft mehrere Jahrzehnte vergehen, und die die Geschichte anhand von Einzelschicksalen schlaglichtartig beleuchten. Clark zeichnet seine Figuren knapp und prägnant, ohne dabei in Stereotype zu verfallen. Die geschilderte Technologie ist in diesem Roman eher zweitrangig. Interessant ist dabei das Interesse der Overlords an den Mythen und Aberglauben der Menschen, an menschlicher Esoterik und Parapsychologie, die dem gängigen Technik-Klischee widersprechen. 

Mein ganz privater Einstieg in die Literatur begann als Kind über Science Fiction. Ich glaube, ich habe als Heranwachsender alle nur verfügbaren Zukunftsromane unserer kleinen Gemeindebibliothek gelesen. Begann es zunächst aus banaler Neugier an den geschilderten Technologien und den fantastischen Welten, traten nach und nach doch auch die Beweggründe der darin agierenden Menschen, ihre Interessen, Ängste und Zweifel in den Vordergrund. So verbarg sich hinter der Gattung Science Fiction auch für mich nichts anderes als eine Art Hebamme, die mich anfänglich begleitete, und zu der mich auch heute noch gelegentliche Abstecher zurückführen.

Fazit: Ein Science Fiction Klassiker und eine für das Genre eher untypisch positive Utopie, die mit einigen spannenden Überraschungen aufwarten kann. Lesen! 


Arthur C. Clarke
Die letzte Generation
Heyne Verlag (2003)
288 Seiten
8,95 Euro