Sonntag, 11. März 2012

Den Rückwärtsgang verklemmt - Egon Friedell 'Die Reise mit der Zeitmaschine'

Egon Friedell: Die Rückkehr der
Zeitmaschine, Piper, München (1946)
Zeitreisen haben schon immer eine gewisse Faszination auf mich ausgeübt, auch schon als Kind. Immerhin haben meine Eltern noch lange bis in mein Erwachsenenalter hinein wiederholt die peinliche Geschichte erzählen müssen, wie ich mich aus Angst vor den grausigen Morlocks am Sonntag Nachmittag, während H.G. Wells 'Zeitmaschine' im Fernsehen lief, hinter der Wohnzimmercouch versteckt hielt. Auch damals hatte ich mich schon gefragt, warum der Zeitreisende eigentlich nicht auch einmal in die Vergangenheit gefahren ist. Aber wahrscheinlich wollte H.G.Wells einfach das Problem der Vertauschung von Ursache und Wirkung umgehen, die dabei leicht entstehen könnte (oder aber auch nicht...).

Das Reisen in die Zeit hat nach H.G.Wells 'Die Zeitmaschine' immer wieder von Neuem Autoren, Philosophen und Wissenschaftler in seinen Bann gezogen. So auch der hier im Biblionomicon im vergangenen Jahr besprochene Roman 'Die Landkarte der Zeit' von Felix J. Palma (hier die zugehörige Rezension), der die ganze Geschichte samt ihren Autor Herbert George Wells aufgriff und in kongenialer Weise fortgesetzt hat. Aber heute soll es hier um die relativ kurze Geschichte 'Die Reise mit der Zeitmaschine' des von mir hochverehrten österreichischen Schriftsteller, Kulturphilosophen, Religionswissenschaftler, Historiker, Dramatiker, Theaterkritiker, Schauspieler, Journalist, Kabarettist und Conférencier Egon Friedell gehen, von dessen Leben und Wirken später noch die Rede sein soll. Um gleich ein eventuelles Missverständnis auszuräumen, der Roman erscheint heute unter einem anderen Titel, nämlich 'Die Rückkehr der Zeitmaschine' (der den Inhalt der Geschichte auch nicht viel besser trifft).

Das kleine Büchlein beginnt mit dem einleitenden Briefverkehr zwischen Egon Friedell, der mit der Bitte um Aufklärung an H.G.Wells schreibt, was mit dem Zeitreisenden nun am Ende des Romans bzw. vielmehr am Ende des anscheinend den Tatsachen entsprechenden Berichts geschehen sei. Die Antwort von H.G. Wells Sekretärin dagegen fällt recht unfreundlich aus, da sie die Mutmaßung, es könnte sich um eine rein fiktive Geschichte handeln, schroff von der Hand weist. Aber immerhin gibt sie Herrn Friedell den Namen eines Bekannten des Zeitreisenden an, der als Zeuge in der ganzen Geschichte herhalten kann. Von diesem nun erhält Egon Friedell den gewünschten Bericht und der Leser erfährt von den Bemühungen des Zeitreisenden, zurück in die Vergangenheit zu fahren.

Denn genau zu diesem Thema bleibt H.G.Wells dem Leser seiner 'Zeitmaschine' ja noch einiges schuldig. Was wird aus dem Zeitreisenden, dessen Namen uns Wells noch nicht einmal verrät und welche Abenteuer hat er bei seinen weiteren Reisen zu bestehen? Ebenso lässt sich Wells auch nicht wirklich über die Theorie des Zeitreisens an sich und den dadurch verursachten potenziellen Paradoxa aus. Wir sehen also, genau hier vermag Friedell den Faden aufzunehmen und in eleganter Weise wie geschildert an die Originalgeschichte anzuschließen. Denn bei seinem Versuch, in die Vergangenheit zu reisen, stößt der Zeitreisende überraschend auf (technische) Probleme und er ist gezwungen, zuerst noch einmal in die Zukunft zu reisen (quasi um "Anlauf zu nehmen"). So erhält er im Jahr 2123 das nötige intellektuelle Rüstzeug, um seine Reise in die Vergangenheit (zumindest theoretisch) antreten zu können, doch will sich der Erfolg auch dann nicht wirklich einstellen....

Also, wer eine spannende und aktionsreiche Romanhandlung wie in H.G.Wells Original erwartet, der könnte von Egon Friedells kleinem Büchlein leicht enttäuscht werden. Friedell ist ein Meister der ironisch und zumal sarkastischen Zwischentöne und das mitunter auf hohem intellektuellen Niveau. Das Buch erschien zuerst posthum 1946, nachdem die Nationalsozialisten Friedells Schriften bereits in den 1930er Jahren auf den Index gesetzt und verbrannt hatten. Dennoch hinterließ uns dieser großartige Erzähler eine überaus lesenswerte, dreibändige Kulturgeschichte der Neuzeit, sowie eine ebenfalls auf drei Bände ausgelegte Kulturgeschichte des Altertums, die er nicht mehr beenden konnte. Übrigens hat auch sein literarisches Vorbild für den vorliegenden Roman, H.G. Wells, eine vielbeachtete Weltgeschichte geschrieben. Egon Friedells tragisches Ende scheint selbst wie aus einem Roman entsprungen.
"Am 16. März 1938 erschienen gegen 22 Uhr zwei Männer der SA vor dem Haus von Egon Friedell, Wien 18, Gentzgasse 7, um, wie jedenfalls er meinte, den „Jud Friedell“ abzuholen. Während sie mit seiner Haushälterin diskutierten, nahm sich Friedell das Leben, indem er aus einem Fenster der im 3. Stock gelegenen Wohnung sprang. Verbrieft ist, dass er dabei nicht verabsäumte, die Passanten umsichtig mit dem Ausruf „Treten Sie zur Seite!“ zu warnen." (Quelle: wikipedia)
Fazit: Als Einstiegsdroge in die Lese- und Gedankenwelt eines geistreichen Erzählers bestens geeignet! Sonst wohl eher nur für hartgesottene Fans der 'Zeitmaschine'. Trotzdem: LESEN!