Montag, 15. November 2010

Nein, der Tod ist nicht nett - Markus Zusak 'Die Bücherdiebin'

"Ich bin nach Kräften bemüht, dieser Angelegenheit eine fröhliche Seite zu verleihen, Aber die meisten Menschen haben einen tiefsitzenden Widerwillen, der es ihnen unmöglich macht, mir zu glauben, so sehr ich auch versuche, sie davon zu überzeugen, Bitte glaubt mir: Ich kann wirklch fröhlich sein. Ich kann angenehm sein. Amüsant. Achtsam. Andächtig. Und das sind nur Eigenschaften mit dem Buchstaben "A". Nur bitte verlangt nicht von mir, nett zu sein. Nett zu sein ist mir völlig fremd."

Was für eine grandiose Idee, den Tod zum Erzähler der Geschichte zu machen, dachte ich mir. Der Anfang der 'Bücherdiebin' des australischen Autors mit deutsch-östereichischen Wurzeln Markus Zusak ist wirklich genial. Der Tod lamentiert, dass ihn die Menschen nicht verstehen. Wen wundert es? Aber das ist gar nicht die Hauptsache in diesem Buch. Vielmehr geht es darum, Jugendlichen und jungen Erwachsenen das stille Grauen einer Zeit vor Augen zu führen, die uns zwar durch die Augen der Medien heute schon so allgegenwärtig geworden ist, dass wir sie geflissentlich ignorieren oder auch schon gar nicht mehr sehen können oder mögen. Markus Zusak führt uns das Grauen des Nationalsozialismus und des Krieges durch die Augen des 10-jährigen kleinen Mädchens Liesel Memminger vor...

Die Geschichte beginnt damit, dass Liesel zu ihren neuen Pflegeeltern Hans und Rosa Hubermann gebracht wird. Auf der Zugfahrt nach Molching bei München stirbt ihr kleiner, kränkelnder Bruder und Liesel stiehlt während der Beerdigung ihr erstes Buch 'Das Handbuch für Totengräber', das einem der Totengräber aus der Tasche gefallen sein muss. Damit beginnt für Liesel ihre Karriere als 'Bücherdiebin'. Ihre neue Pflegemutter Rosa legt eine besonders rauhe Schale an den Tag, aber zu ihrem Pflegevater Hans fasst sie schnell Vertrauen. Er ist es, der sich an ihr Bett setzt und sie tröstet, wenn sie nachts von Albträumen geplagt wird. Er ist es auch, der mit ihr während der nächtlichen Stunden beginnt, gemeinsam ihr erstes Buch zu lesen und Liesel damit das Lesen beibringt. Die Bücher, die Liesel auf ihrem Weg begegnen sind mit ein paar Ausnahmen (Duden und 'Mein Kampf') fiktive.

Und dann ist da noch Rudi Steiner, mit dem sie Fußball spielt und der von den anderen spöttisch nur Jesse Owens genannt wird. Das rührt daher, dass sich Rudi in lauter Begeisterung für den dunkelhäutigen Olympiasieger eines Tages auf dem Sportplatz mit Kohle beschmiert und seine Runden läuft. Der Nationalsozialismus und der Krieg machen sich auch in Molching bemerkbar. Rudi hat so seine Probleme mit persönlichen Feindseligkeiten in der Hitlerjugend und die Hubermanns verstricken sich tiefer in Probleme als ihnen lieb ist. In ihrem Keller haben sie Max, einen Juden untergebracht und schützen ihn vor der Verfolgung. So ist die Angst vor Entdeckung allgegenwärtig, aber auf der anderen Seite wächst eine tiefe Freundschaft zwischen Liesel und Max heran, die ihr ganzes Leben, Denken und Handeln verändern wird.

Als der Krieg schließlich auch Süddeutschland erreicht, kommen die angstvollen Bombennächte im Schutzkeller. Und hier erweist sich Liesel als Heldin, als sie beginnt, aus einem ihrer Bücher vorzulesen und dadurch den Menschen für einen kurzen Moment die Angst nimmt. Auch Max hat ein Buch mit in den Keller der Hubermanns gebracht. Bizarrerweise ist es ausgerechnet Hitlers 'Mein Kampf', der aber zweckentfremdet wird, indem Max die Seiten mit weißer Farbe bemalt, um ein eigenes, neues Buch zu schreiben, das für seine Freundin Liesel gedacht ist und seine eigene Geschichte widerspiegelt. Der Krieg wird immer drückender, auch Liesels Ziehvater muss Soldat werden und das Dorf wird Zeuge, wie Juden auf ihrem Weg nach Dachau brutal durch die Straßen getrieben werden. Und mit dem Krieg kommt auch wieder der Tod.

So stark der Roman auch beginnt, auf seinem Weg durch die Geschichte lässt er immer wieder nach, um dann für einige Momente wieder aufzuflackern, die wirklich bemerkenswert sind. Auf mich wirkte er aber über weite Spannen etwas sehr getragen und an manchen Stellen arg konstruiert und pathetisch. Aber wenn man das Zielpublikum unter den sogenannten 'jungen Erwachsenen' ab 14 Jahren verortet, dann wird er seinen Zweck erfüllen, und dem jungen Publikum eine Zeit nahebringen, fern ab von den heute in dieser Altersgruppe über alle Maßen beliebten Zauberern und Vampiren. Er steht damit auch nicht alleine: John Boynes "Der Junge mit dem gestreiften Pyjama" versucht sich ebenfalls am Thema Holocaust, wirkt dabei aber nicht so steif, und überrascht durch die Perspektive eines kleinen Jungen, aus dessen Blickwinkel das allgegenwärtige Grauen eine ganz neue Seite gewinnt (siehe auch die Biblionomicon-Rezension). Aber auch Markus Zusak wählt mit dem personifizierten Tod als Erzähler der 'Bücherdiebin' eine ungewöhnliche Erzählperspektive, die den Roman überaus lesenswert macht. So erzählt der Tod von dem Grauen der Schlachtfelder und der Gaskammern, und wie er all die zarten Seelen behutsam aus den gequälten und geschundenen Körpern zieht. Es ist aber nicht das Leid der Sterbenden, das ihn umtreibt, sondern derer, die zurückbleiben müssen. Um diesem unerträglichen Leid auszuweichen, lenkt er seinen Blick jedesmal auf die Farben des Himmels, die immer wieder in den unterschiedlichsten Nuancen von der Schönheit des Lebens erzählen.
"Die Frage ist, welche Farbe die Welt angenommen haben wird, wenn ich euch holen komme. Was wird der Himmel uns erzählen? Ich persönlich mag einen schokoladenfarbenen Himmel. Dunkle Bitterschokolade. Die Leute behaupten, das passt zu mir. Ich versuche trotzdem, mich an jeder Farbe zu erfreuen, die ich sehe, an dem ganzen Spektrum. Etwa eine Milliarde Schattierungen, keine wie die andere, und ein Himmel, der sie langsam in sich aufsaugt. Das nimmt dem Stress die Schärfe. Und es hilft mir, mich zu entspannen."

Fazit: Ein ungewöhnliches Buch, nicht nur für Kinder und junge Erwachsene. Zwar stellenweise mit Schwächen, aber überaus lesenswert!

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