Samstag, 25. September 2010

Philosophischer Rundumschlag - Aurelius Augustinus 'Bekenntnisse'

Wie kommt man eigentlich dazu, sich das anzutun, eine 1600 Jahre alte autobiografische Schrift zu lesen, durch und durch gefärbt von Platonismus und frühem Christentum, die zudem als eine der einflussreichsten der Weltliteratur zählt. Dass ich dazu die 1888 erschienene Reclam-Ausgabe in der Übersetzung von Otto Lachmann in Fraktur-Schrift gewählt habe, macht die Sache auch nicht einfacher. Aber nach gut 4 Wochen Lektüre war es geschafft und es stellt sich die Frage, war es den Aufwand wert? Die Antwort darauf versuche ich hier kurz zu begründen....

Aurelius Augustinus, geboren im Jahre des Herren 354 in Thagaste, Numidien (heute Algerien), schrieb etwa um das Jahr 400 herum seine 'Bekenntnisse' (Confessiones), in denen er seine Autobiografie vorlegt, d.h. seinen (langen) Weg zum Christentum erzählt, durchsetzt von zahlreichen philosophischen Betrachtungen des neuen Glaubens und reichlich Gotteslob und Bibelzitaten. Der Inhalt lässt sich daher recht leicht zusammenfassen:

Er startet mit seiner Kindheit und seinem Heranwachsen zum Knaben und leitet dabei aus seinen eigenen Erinnerungen und Beobachtungen Überlegungen zu den kognitiven und moralischen Fähigkeiten eines Kindes ab. Als Sohn einer wohlhabenden Familie (seine Mutter Monika war bereits Christin) musste er nie Hunger leiden. Dennoch, so erinnert er sich, beging er als Jugendlicher die Sünde des Diebstahls und fragt sich nach den Beweggründen, die ihn und seine Freunde zu diesen Taten getrieben haben. Er kommt nach Karthago, um dort Rechtswissenschaften und Rhetorik zu studieren, wo er in Kontakt mit dem Manichäismus kommt. Der Manichäismus ist eine sogenannte synkretistische Lehre, in deren Bestreben es lag, Weisheiten und Wissen aus anderen Religionen miteinander zu vereinen. Sie entstand im frühen 3. Jahrhundert und ist benannt nach ihrem Begründer, dem Perser Mani, dessen Lehre die Existenz eines Reich des Lichts (des Guten) dem der Finsterniss (des Bösen) entgegensetzte.

Im Alter von 29 Jahren kommt Augustinus nach Mailand. Dort lernt er den Bischof und Kirchenlehrer Ambrosius kennen, der sein Mentor werden sollte und ihn auf den rechten Weg zu Gott und in die Gemeinschaft der Christenheit lenkt. Interessant fand ich hier die mir bereits zuvor bekannte Schilderung Ambrosius über die Art und Weise, wie in der Spätantike gelesen wurde:
"Und wenn er las, schweiften die Augen über die Seiten und das Herz erforschte den Sinn, er selbst aber schwieg." (6. Buch, 3. Kapitel)
Das stille Lesen für sich selbst war eher ungewöhnlich, in einer Zeit, da nur sehr wenige überhaupt lesen konnten und es üblich war, das Gelesene laut auszusprechen, und das nicht nur, damit es andere, die nicht des Lesens mächtig waren, mitlesen konnten (siehe dazu auch mein Artikel 'Kurze Kulturgeschichte des Lesens').

Im Alter von 33 Jahren erst wird Augustinus schließlich getauft. Augustinus braucht recht lange dazu, diesen Schritt für sich selbst zu begründen und versucht es dem Leser in aller Ausführlichkeit zu erläutern. Der Tod seiner Mutter Monika lässt ihn seine rhetorischen Studien in Mailand beenden und wieder zurück in seine afrikanische Heimat ziehen. Zur Zeit der Abfassung des Textes ist Augustinus bereits Bischof von Hippo und schildert mit großer Genauigkeit seinen Gemütszustand, der in einer psychologischen Abhandlung über das Gedächtnis und die fünf Sinne mündet.

Das darauffolgende Kapitel ist dem Phänomen der Zeit und ihrer Bedeutung gewidmet, insbesondere auch ihrem Gegenteil, der Ewigkeit. Allgemein bekannt daraus ist die folgende vielzitierte Passage:
"Was also ist die Zeit? Wenn mich niemand darnach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht; mit Zuversicht kann ich jedoch wenigstens sagen, daß ich weiß, daß wenn nichts verginge, es keine vergangene Zeit gäbe, und wenn nichts vorüberginge, es keine zukünftige Zeit gäbe..." (11. Buch, 14. Kapitel)
Danach weitet er seine Betrachtungen aus und reflektiert über das Buch Genesis, das er einer genauen sprachlichen Analyse unterzieht, um die Geschichte der Schöpfung besser zu verstehen. Das letzte Kapitel gipfelt dann in seinen Betrachtungen über das Wesen der Dreieinigkeit Gottes, die er abgrenzt von dem unserer menschlichen Erfahrungswelt zugänglichen Wissen:
"Sein, Wisen und Wollen. Ich bin, ich weiß, ich will; ich bin, der weiß und der will; ich weiß, daß ich bin und daß ich will; ich will sein und will wissen..." (13. Buch, 12. Kapitel)
Sprachlich etwas sperrig mit vielen Abschweifungen und philosophisch, logisch anspruchsvollen Passagen, aber immer wieder überraschend interessante Einsichten bietet dieses Buch. Im Gegensatz zu vielen Romanen eignet es sich durchaus als Bettlektüre, d.h. in kleinen Häppchen vor dem Schlafengehen genossen. Allerdings darf man dann nicht zu müde sein, denn sonst kommt man nicht mehr mit und verliert sich zwischen den Zeilen. Natürlich ist es an einigen Stellen für unseren heutigen Geschmack zu lang geraten. Allzuviel des Gotteslobes ermüden den ein oder anderen Leser und manche logische Schlussfolgerung und Beweisführung lässt sich nicht wirklich nachvollziehen. Dennoch kann ich das Buch guten Gewissens weiterempfehlen.

Fazit: Schwergewichtiges, sperriges und nicht einfach zu lesendes philosophisches Werk der Weltliteratur, das durchaus interessante Einsichten auch für den heutigen Leser bereithält. Aber Vorsicht: Nicht für jedermann!

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