Montag, 27. September 2010

Wie die Hieroglyphen entziffert wurden...


Auf den Tag genau 188 Jahre ist es her, dass Jean Francois Champollion am 27. September 1822 vor der französischen Akademie der Inschriften und der schönen Literatur in Paris bekannt gab, dass er mit Hilfe des Steins von Rosette das Geheimnis der Hieroglyphen entschlüsselt habe. Aus Anlass des Jahrestages hier ein kleiner (erweiterter) Auszug aus der Geschichte der Entschlüsselung der Hieroglyphen - ein Thema, zu dem ich auch im Rahmen einer kleinen Mediengeschichte in meinem Buch 'Digitale Kommunikation' geschrieben habe.

Nach der Schließung der letzten ägyptischen Tempel im 5. Jhd. nach Christus ging jegliches Wissen über die Funktion und Bedeutung der Hieroglyphenzeichen verloren. Späteren Entzifferungsversuchen stand zunächst stets die Fehleinschätzung im Wege, daß es sich bei den ”heiligen Zeichen“ um Bildzeichen, jedes mit einer speziellen, heiligen Bedeutung handelte. Bereits der Philosoph Plotin (202–270 n. Chr.) schrieb, daß jede Hieroglyphe eine komplexe Vorstellung wiedergebe. Auch der Jesuit und Universalgelehrte Athanasius Kircher (1601–1980) scheiterte an ihrer Entzifferung, da er in ihnen Symbole sah, die jede für sich ”Einblicke in große Ideen und tiefe Geheimnisse beinhalten“ sollten. Die Situation änderte sich jedoch mit der Entdeckung eines Inschriftensteines aus schwarzem Basalt 1799 in Rosette (heute Raschid), einem Ort im westlichen Nildelta.

Im Jahre des Herrn 1798 landete Napoleons Expeditionskorps in Ägypten mit dem Ziel, strategisch wichtige Punkte entlang der lukrativen Handelsroute in den fernen Osten – zuerst Malta, dann Ägypten – in französischen Besitz zu bringen. Ein Offizier des Ingenieurkorps, Pierre Francois Xavier Buchard, fand den nach seinem Fundort benannten ”Stein von Rosette“ wohl eher aus Zufall bei der Beschaffung von Baumaterial für die Erweiterung einer Festungsanlage. Der Stein enthält drei Inschriften, die denselben Text – die Kopie eines Dekrets, erlassen von einer Priestersynode, in der sich diese beim Pharao Ptolemaios V. Epiphanes (204–180 v. Chr.) für dessen Großzügigkeit bedanken – in zwei Sprachen und drei Schriften
wiedergeben.

Das obere Drittel ist in Hieroglyphenschrift abgefasst, die Mitte in demotischer Schrift und der untere Teil in Griechisch. Der leicht lesbare griechische Text endete mit der Anweisung, das Dekret in den drei Schriften einzumeiseln. Daher mussten die drei Texte identisch sein. Der historische Wert des Steins wurde sofort erkannt und den französischen Wissenschaftlern, die Napoleon auf seinem Feldzug in Ägypten begleiteten, zur Verfügung gestellt. Nach der Kapitulation der Franzosen in Alexandria gelangte der Stein 1802 nach London ins Britische Museum, wo er noch heute ausgestellt ist.

In der Folgezeit entstand zwischen dem englischen Physiker Thomas Young (1773–1829), dem schwedischen Diplomaten Johann David Akerblad (1763-1819)und dem französischen Diplomaten und Linguisten Antoine Isaac Sylvestre de Sacy (1758-1838) ein erbitterter Wettbewerb um die Entzifferung der Hieroglyphen. Zwar konnten Übereinstimmungen einzelner Namen und Worte zwischen dem demotischen und dem griechischen Text schnell gefunden werden, doch eine vollständige Entzifferung blieb ihnen verwehrt, da es sich bei den Texten jeweils nicht um eine wortgetreue Übersetzung handelte und die Texte auf dem Stein nicht alle vollständig erhalten waren. Thomas Young gelang die Entzifferung einzelner Worte der Hieroglyphenschrift und er äußerte als erster die Vermutung, dass es sich bei diesen nicht ausschließlich um Wortsymbole sondern in einigen Fällen um einzelne Lautzeichen (Phonogramme) handeln könnte, doch der Erfolg blieb ihnen allen verwehrt.

Den richtigen Weg zur Entzifferung fand schließlich ein anderer, Jean Francois Champollion (1790–1832). Der ägyptenbegeisterte Champollion – ganz Frankreich wurde durch die Rückkehr des napoleonischen Expeditionskorps aus Ägypten in eine regelrechte Begeisterung für das Land und seine Kulturschätze gerissen – studierte bereits mit 13 Jahren neben Griechisch und Latein verschiedene orientalische Sprachen und wurde mit 19 zum Professor für alte Geschichte in Grenoble berufen, nachdem er sich in seiner Studienzeit (1807–1809) bereits erstmals – wenn auch erfolglos – an der Entzifferung des Steins von Rosette versuchte. In den Folgejahren wurde seine Arbeit durch die Wirren der Rückübernahme Frankreichs durch die Royalisten stark behindert. Als glühender Napoleon-Anhänger schrieb er Spottlieder auf die vom französischen Königsthron vertriebenen Bourbonen, die schnell sehr populär wurden. Nach Napoleons Verbannung und der Rückkehr der Bourbonen wurde Champollion zunächst nach Italien verbannt. 1821 konnte er schließlich nach Paris zurückkehren und beschäftigte sich von da an intensiv mit der Entschlüsselung des Steins von Rosette. Schließlich hatte er Erfolg und fand den Schlüssel zur Grundstruktur des hieroglyphischen Schriftsystems, d.h. er erkannte mit Hilfe quantitativer Symbolanalysen, dass es sich dabei um eine Kombination aus Bild und Lautzeichen handeln musste.
Die Ermittlung der ersten alphabetischen Lautwerte war ihm über die Schreibung des Königsnamens Ptolemaios gelungen, die im hieroglyphischen Textteil durch einen ringförmigen Rahmen, einer sogenannten Kartusche, hervorgehoben war. Er übertrug einfach den Lautwert der korrespondierenden griechischen Buchstaben und erfasste so die phonetische Bedeutung der entsprechenden Hieroglyphenzeichen. Dann überprüfte er die Deutung an der Namensschreibung anderer ptolemäischer und römischer Könige und Königinnen. In Philae fand man 1814 einen Obelisken mit einer zweisprachigen Inschrift in Griechisch und in Hieroglyphenschrift, der eine Kartusche mit dem Namen der ägyptischen Königin Kleopatra trug. Der Vergleich der Hieroglyphenzeichen der Namen Ptolemaios und Kleopatra führte Champollion auf die richtige Spur. Er erkannte, dass einzelne Hieroglyphen für Buchstaben standen, andere für Buchstabenkombinationen, ganze Wörter oder dass sie sogar kontextbestimmend eingesetzt waren. Der Schlüssel zur weiteren Entzifferung der Hieroglyphen war gefunden. Im September 1822 gelang es ihm, ein vollständiges System zur Entzifferung der Hieroglyphen aufzustellen.

Literatur:
  • C. Andrews: The Rosetta Stone, British Museum Press, London, 1981.
  • Ch. Meinel, H. Sack: Digitale Kommunikation, Springer, 2009.

Samstag, 25. September 2010

Philosophischer Rundumschlag - Aurelius Augustinus 'Bekenntnisse'

Wie kommt man eigentlich dazu, sich das anzutun, eine 1600 Jahre alte autobiografische Schrift zu lesen, durch und durch gefärbt von Platonismus und frühem Christentum, die zudem als eine der einflussreichsten der Weltliteratur zählt. Dass ich dazu die 1888 erschienene Reclam-Ausgabe in der Übersetzung von Otto Lachmann in Fraktur-Schrift gewählt habe, macht die Sache auch nicht einfacher. Aber nach gut 4 Wochen Lektüre war es geschafft und es stellt sich die Frage, war es den Aufwand wert? Die Antwort darauf versuche ich hier kurz zu begründen....

Aurelius Augustinus, geboren im Jahre des Herren 354 in Thagaste, Numidien (heute Algerien), schrieb etwa um das Jahr 400 herum seine 'Bekenntnisse' (Confessiones), in denen er seine Autobiografie vorlegt, d.h. seinen (langen) Weg zum Christentum erzählt, durchsetzt von zahlreichen philosophischen Betrachtungen des neuen Glaubens und reichlich Gotteslob und Bibelzitaten. Der Inhalt lässt sich daher recht leicht zusammenfassen:

Er startet mit seiner Kindheit und seinem Heranwachsen zum Knaben und leitet dabei aus seinen eigenen Erinnerungen und Beobachtungen Überlegungen zu den kognitiven und moralischen Fähigkeiten eines Kindes ab. Als Sohn einer wohlhabenden Familie (seine Mutter Monika war bereits Christin) musste er nie Hunger leiden. Dennoch, so erinnert er sich, beging er als Jugendlicher die Sünde des Diebstahls und fragt sich nach den Beweggründen, die ihn und seine Freunde zu diesen Taten getrieben haben. Er kommt nach Karthago, um dort Rechtswissenschaften und Rhetorik zu studieren, wo er in Kontakt mit dem Manichäismus kommt. Der Manichäismus ist eine sogenannte synkretistische Lehre, in deren Bestreben es lag, Weisheiten und Wissen aus anderen Religionen miteinander zu vereinen. Sie entstand im frühen 3. Jahrhundert und ist benannt nach ihrem Begründer, dem Perser Mani, dessen Lehre die Existenz eines Reich des Lichts (des Guten) dem der Finsterniss (des Bösen) entgegensetzte.

Im Alter von 29 Jahren kommt Augustinus nach Mailand. Dort lernt er den Bischof und Kirchenlehrer Ambrosius kennen, der sein Mentor werden sollte und ihn auf den rechten Weg zu Gott und in die Gemeinschaft der Christenheit lenkt. Interessant fand ich hier die mir bereits zuvor bekannte Schilderung Ambrosius über die Art und Weise, wie in der Spätantike gelesen wurde:
"Und wenn er las, schweiften die Augen über die Seiten und das Herz erforschte den Sinn, er selbst aber schwieg." (6. Buch, 3. Kapitel)
Das stille Lesen für sich selbst war eher ungewöhnlich, in einer Zeit, da nur sehr wenige überhaupt lesen konnten und es üblich war, das Gelesene laut auszusprechen, und das nicht nur, damit es andere, die nicht des Lesens mächtig waren, mitlesen konnten (siehe dazu auch mein Artikel 'Kurze Kulturgeschichte des Lesens').

Im Alter von 33 Jahren erst wird Augustinus schließlich getauft. Augustinus braucht recht lange dazu, diesen Schritt für sich selbst zu begründen und versucht es dem Leser in aller Ausführlichkeit zu erläutern. Der Tod seiner Mutter Monika lässt ihn seine rhetorischen Studien in Mailand beenden und wieder zurück in seine afrikanische Heimat ziehen. Zur Zeit der Abfassung des Textes ist Augustinus bereits Bischof von Hippo und schildert mit großer Genauigkeit seinen Gemütszustand, der in einer psychologischen Abhandlung über das Gedächtnis und die fünf Sinne mündet.

Das darauffolgende Kapitel ist dem Phänomen der Zeit und ihrer Bedeutung gewidmet, insbesondere auch ihrem Gegenteil, der Ewigkeit. Allgemein bekannt daraus ist die folgende vielzitierte Passage:
"Was also ist die Zeit? Wenn mich niemand darnach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht; mit Zuversicht kann ich jedoch wenigstens sagen, daß ich weiß, daß wenn nichts verginge, es keine vergangene Zeit gäbe, und wenn nichts vorüberginge, es keine zukünftige Zeit gäbe..." (11. Buch, 14. Kapitel)
Danach weitet er seine Betrachtungen aus und reflektiert über das Buch Genesis, das er einer genauen sprachlichen Analyse unterzieht, um die Geschichte der Schöpfung besser zu verstehen. Das letzte Kapitel gipfelt dann in seinen Betrachtungen über das Wesen der Dreieinigkeit Gottes, die er abgrenzt von dem unserer menschlichen Erfahrungswelt zugänglichen Wissen:
"Sein, Wisen und Wollen. Ich bin, ich weiß, ich will; ich bin, der weiß und der will; ich weiß, daß ich bin und daß ich will; ich will sein und will wissen..." (13. Buch, 12. Kapitel)
Sprachlich etwas sperrig mit vielen Abschweifungen und philosophisch, logisch anspruchsvollen Passagen, aber immer wieder überraschend interessante Einsichten bietet dieses Buch. Im Gegensatz zu vielen Romanen eignet es sich durchaus als Bettlektüre, d.h. in kleinen Häppchen vor dem Schlafengehen genossen. Allerdings darf man dann nicht zu müde sein, denn sonst kommt man nicht mehr mit und verliert sich zwischen den Zeilen. Natürlich ist es an einigen Stellen für unseren heutigen Geschmack zu lang geraten. Allzuviel des Gotteslobes ermüden den ein oder anderen Leser und manche logische Schlussfolgerung und Beweisführung lässt sich nicht wirklich nachvollziehen. Dennoch kann ich das Buch guten Gewissens weiterempfehlen.

Fazit: Schwergewichtiges, sperriges und nicht einfach zu lesendes philosophisches Werk der Weltliteratur, das durchaus interessante Einsichten auch für den heutigen Leser bereithält. Aber Vorsicht: Nicht für jedermann!

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